Minimalismus ist schon lange kein Einzelphänomen mehr, sondern hat sich stark in unserer Gesellschaft verankert. Sei es durch besonders minimalistisch designte Rucksäcke oder einem Wohnzimmer mit einem Sofa und ganz viel „Whitespace“. Doch was macht Minimalismus eigentlich mit unserem Gehirn? Und kann uns ein minimalistischer Lebensstil glücklicher machen?
Ich war gerade aufgestanden und warf einen kurzen Blick auf den Wecker. 5:45. Jetzt hatte ich noch genau 30 Minuten Zeit mich fertig zu machen. Ein kurzer Check auf dem Handy, ob mir irgendjemand in der Nacht geschrieben hat, was meist eh nicht der Fall war. Musik auswählen, Kopfhörer rein, Kaffee kochen und mich anziehen. Normalerweise ist das locker in 30 Minuten zu schaffen. Doch wie so immer sieht die Trägheit und ehe ich mich versehe, sind die 30 Minuten, die ich vorher doch so akribisch für die Dinge, die ich in der Früh tun muss, verplant hatte, vorbei.
Ich schaue panisch auf die Uhr und renne in den Hausflur, um schnell meine mittlerweile etwas abgelatschten Schuhe anzuziehen. Noch einen kurzen Blick in den Rucksack. Der Zug fährt in 10 Minuten. Als ich gerade auf die Haustür zustürme, fällt es mir plötzlich ein. Der Schlüssel für mein Fahrrad. Verdammt. Panisch drehe ich mich um und renne zurück in mein Zimmer. Jetzt muss es schnell gehen. Ich renne auf den Schreibtisch zu, der nicht mehr einleuchtend wie ein Schreibtisch aussieht, sondern eher wie ein angefangener Müllberg voller Stifte, irgendeiner Laptoptasche, die ich eigentlich schon gar nicht mehr benutze und ganz vielen Blättern mit Kritzeleien und Entwürfen. Der Schlüssel war dort nicht zu sehen.
Die Welt ändert sich schneller als je zuvor. Kriege, Pandemien und die uns drohenden irreversiblen Umweltschäden und daraus entstehenden Konsequenzen. So gehen Experten davon aus, dass bis zum Jahr 2050, gemessen an dem Gewicht, mehr Plastik im Meer sein wird, als Fische. Und gleichzeitig leiden immer mehr Menschen an psychischen Problemen und schaffen es nicht mehr, dem Alltagsstress zu entkommen. Eins ist klar: Es muss sich etwas ändern. Und tatsächlich sind wir auf dem besten Weg dahin.
Minimalismus ist seit langem kein Trend mehr. Er versteckt sich weitläufig in modernem Design und spiegelt eine gewisse Lebensweise, mit der sich immer mehr Menschen identifizieren: Den Drang, weg von der Wegwerfgesellschaft zu mehr Qualität und Ordnung im Leben. Minimalismus ist mehr als nur reines Design und Entscheidungen, die beim Entfernen dieser gestaltet werden. Es ist vielmehr eine Lebenseinstellung. Eine Reise in die beeindruckende Geschichte des Minimalistischen-Designs, was es ausmacht, wie es uns helfen kann, die Umwelt zu schonen und warum es uns letztlich so glücklich machen kann.
Ich drehe mich panisch um. Mein Blick schweift über mein mittlerweile vollgestopftes Zimmer mit allerlei Gerümpel, der sich so über die Jahre angesammelt hat. Ich schaue auf die Uhr. Noch 9 Minuten. Das wird verdammt knapp.
Whitespace.
Whitespace ist quasi die Magie des Minimalistischen-Designs. Es beschreibt einen Leerraum zwischen einzelnen grafischen Elementen und wird häufig im Grafikdesign verwendet. Der große psychische Vorteil von Whitespace ist, dass viele Menschen Freude an einem sauberen und organisierten Raum empfinden.
Die Ursprünge des Whitespace im Design lassen sich bis zu den Anfängen des Buchdrucks zurückverfolgen. Im 15. Jahrhundert erfand Johannes Gutenberg den Buchdruck, der die Massenproduktion von Büchern ermöglichte. Diese neue Technologie ermöglichte es den Designern, immer mehr Inhalte auf ihren Seiten unterzubringen. Sie erkannten jedoch schnell, dass zu viele Inhalte eine Seite unübersichtlich und schwer lesbar machen konnten. Um dieses Problem zu lösen, fügten sie mehr und mehr leeren Raum um den Text herum ein und schufen so das, was wir heute als Whitespace kennen.
Dieses Designkonzept wurde im 18. und 19. Jahrhundert immer beliebter, da Bücher häufiger verwendet wurden und die Menschen mehr Wert auf Ästhetik legten. Insbesondere das Aufkommen der Werbung führte zu einem größeren Bedarf an wirksamer visueller Kommunikation. Designer begannen, mit verschiedenen Möglichkeiten zu experimentieren, Whitespace zu nutzen, um die Aufmerksamkeit auf bestimmte Elemente auf einer Seite zu lenken.
Heute ist dieser ein wesentlicher Bestandteil aller Arten von Design, vom Webdesign bis zur Produktverpackung. Er wird häufig verwendet, um ein Gefühl von Offenheit und Geräumigkeit zu vermitteln oder um wichtige Informationen hervorzuheben.
Es mag zwar kontraintuitiv erscheinen, aber mehr Leerraum in einem Design kann es tatsächlich komplexer und interessanter erscheinen lassen. Das liegt daran, dass unser Gehirn ständig nach Mustern und Möglichkeiten zur Organisation von Informationen sucht. Wenn wir ein Design mit viel Leerraum vorfinden, macht unser Gehirn ‚Überstunden‘, um zu versuchen, dem Ganzen einen Sinn zu geben.
Das Ganze scheint also ziemlich simple zu sein: Einfach ein paar Wörter schreiben. Gaaaanz viel Platz dazwischen lassen und schon hat man im Grunde ein minimalistisches Kunstwerk geschaffen. Einerseits ist es das. (Wir haben es sogar im Folgenden ausprobiert). Andererseits steckt noch etwas mehr dahinter.
Whitespace entfacht sein wahres Potenzial nur durch die richtige Anordnung der Elemente. Man muss wissen, welche Elemente man wie mit Leerraum umgibt, um diesen einen gewissen Sinn zu geben.
Die Einstellung.
Vielleicht kennen Sie Ihn: Matt D’Avella.
Matt D’Avella hatte schon immer eine Leidenschaft für Filme. Als Kind sah er sich mit seinem Vater Filme an und träumte davon, eines Tages Regisseur zu werden. Nach dem College zog er nach Los Angeles, um seinen Traum zu verwirklichen. Er arbeitete zunächst als Produktionsassistent bei Low-Budget-Filmen, arbeitete sich aber schnell nach oben.
Im Jahr 2015 beschloss Matt, seine eigenen Filme zu drehen. Er veröffentlichte seinen ersten Dokumentarfilm, „Minimalism: A Documentary About the Important Things“, der sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern gut ankam. Auch mithilfe seines äußerst erfolgreichen YouTube-Kanals hat er den Minimalismus maßgeblich zur Popularität verholfen. So findet sich Minimalismus nicht nur in (Produkt)Designs wieder, sondern ist auch eine nicht zu ignorierende Lebenseinstellung mit vielen Vorteilen.
Mein Blick schweift in Eile über den Aktenschrank an der linken Seite, der strenggenommen eigentlich schon gar nicht mehr so genannt werden dürfte. Neben Papierkram stehen dort auch haufenweise anderer Dinge, die sich über die Jahre so angesammelt haben. Irgendwann gekauft, mit dem Gedanken, dass ich das mal gebrauchen könnte. Ich schiebe einen alten Taschenrechner bereite, den ich schon seit Jahren nicht mehr benutzt habe. Doch auch dort ist der Schlüssel nicht auffindbar. Ich schaue auf die Uhr: noch 7 Minuten.
Eine wesentliche Aussage des Minimalismus ist, nur das zu kaufen, was wirklich benötigt wird. Der Fokus liegt also eher darin, wenige Dinge mit hoher Qualität zu besitzen. Erst dadurch gewinnen die eigenen vier Räume an viel Platz und gleichzeitig spart man dabei auch noch Geld. Doch nicht nur das. Minimalisten tendieren auch dazu, besser organisiert zu sein (und vielleicht suchen Minimalisten auch nicht so häufig den Fahrradschlüssel). Außerdem fängt man an, die wenigen Dinge, die man besitzt mehr wertzuschätzen und mit diesen dann auch besser umzugehen, was wiederum der Umwelt zugutekommt.
Stress, Minimalismus und Glücklichkeit.
Stress, Minimalismus und Glücklichsein sind in einer gewissen Weise interdependent. Minimalismus ist nun kein Allzweckmittel gegen allgemeinen Stress auf der Arbeit zum Beispiel, aber Minimalismus kann den Stress und vor allem, wie er das Leben beeinflusst, merklich ändern. Stressige Ereignisse können negative Gefühle wie Angst, Traurigkeit und Wut auslösen. Diese Emotionen können zu Veränderungen in unserer Stimmung und in unserem Verhalten führen, wodurch das Unglücklichsein im Leben verstärkt wird. Außerdem kann Stress sich auch auf unsere körperliche Gesundheit auswirken, was wiederum zu unglücklichen Gefühlslagen beitragen kann. Somit kann die Umstellung auf mehr Minimalismus im Leben viel helfen.
Am besten fängt man damit an, erstmal die Wohnung zu entrümpeln und einige Sachen auszumisten und wegzuschmeißen. Das Trennen von Dingen mag zwar oftmals schwerfallen, da man sich einredet, vieles vielleicht später nochmal gebrauchen zu können, doch das entspricht meistens nicht der Realität. Durch das Entrümpeln räumt man nämlich auch seinen Geist auf und es kann so befreiend sein, sich endlich von all den unnötigen Dingen getrennt zu haben. Menschen, die viele Dinge besitzen, tendieren eher dazu an „Entscheidungsmüdigkeit“ zu leiden, was zu schlechteren Entscheidungen und einer schlechteren Entscheidungsfindung führen kann. Ein aufgeräumtes Zimmer mit der Beschränkung auf die wesentlichsten Dinge führt dazu sich weniger überfordert zu fühlen und kann helfen Stresssituationen besser zu bewältigen, da zumindest in der Wohnung alles seine Ordnung hat.
Doch wie kann minimalistisches Design dazu beitragen?
Minimalismus in der Art und Weise wie wir leben und auch Minimalismus in Form von (Produkt) Design führt dazu, dass im Allgemeinen weniger visuelle Reize verarbeitet werden müssen. Das führt dann wiederum dazu, dass es leichter fällt, sich zu entspannen und auf das zu konzentrieren, was wichtig ist. Darüber hinaus kann minimalistisches Design ein Gefühl von Ordnung und Ruhe schaffen, das sehr beruhigend auf Geist und Körper wirken kann.
Die Zeit tickt. Ich werde immer panischer. Der Zug ist nämlich der letzte, mit dem ich es noch pünktlich in die Arbeit schaffen würde. Ich erhasche einen letzten verzweifelten Blick über mein Zimmer. In Entscheidungsnot renne ich wieder nach draußen. Meine letzte Chance wäre noch, dass ich beim letzten Mal den Schlüssel am Fahrradschloss gelassen und nicht mit reingenommen habe. Falls dies nicht der Fall ist, müsste ich rennen, was in dieser Zeitspanne eigentlich unmöglich zu schaffen ist. Noch 6 Minuten.
Ein kurzer Ausblick in die Entstehung.
In den späten 1950er Jahren begann eine Gruppe von Künstlern, die als Minimalisten bekannt wurden, Kunst zu schaffen, die sich auf ihre wesentlichen Elemente beschränkte. Sie glaubten, dass es in der Kunst um Einfachheit und Reinheit der Form gehen sollte.
Die Minimalisten lehnten die aufwändige und oft massenproduzierte Kunst dieser Zeit zugunsten einfacher, handgefertigter Werke ab. Sie verwendeten häufig industrielle Materialien wie Stahl, Glas und Beton, die ihrer Meinung nach ihren Werken ein ehrlicheres und authentischeres Gefühl verliehen.
Die Minimalisten wurden von einer Reihe von Quellen beeinflusst, darunter die japanische Zen-Philosophie, die Bauhaus-Schule und die Werke amerikanischer Maler des abstrakten Expressionismus wie Mark Rothko.
Ihre Arbeit hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die Entwicklung der modernen Kunst, und ihr Erbe ist noch immer in den Werken vieler zeitgenössischer Künstler zu sehen.
Minimalismus kann uns helfen, mehr Ordnung ins Leben zu bringen. Und minimalistische Designs helfen durch die Reduzierung der visuellen Reize weniger gestresst und dadurch glücklicher zu sein. Die Reduzierung auf wenige, aber dafür höher qualitative Dinge hilft nicht nur unserer Umwelt, sondern ist auch ausgesprochen schön anzusehen. Eine Win-win-Situation für Umwelt und das persönliche Wohlbefinden.
Ich laufe zur Tür, reiße sie auf, um sie Sekunden später wieder zuknallen zu lassen. Ich drehe mich nach links und laufe weiter. Direkt auf das Fahrrad zu. Das rote Schloss, welches mir mein Onkel vor einigen Jahren geschenkt hatte, hing am linken Lenker. Und in dem Augenblick erkenne ich ihn. Den schwarzen Schlüssel, den ich dort vergessen hatte, aus dem Schloss zu ziehen. Ich schwinge mich auf mein Fahrrad und rase los.
Ehrlich gesagt nervt es mich schon ein bisschen, so oft irgendwelche Dinge suchen zu müssen. Dieser Stress in der Früh oder am Abend, wenn man irgendetwas braucht, es aber oft einfach nicht findet. Minimalismus strebe auch ich seit kürzerem an und habe schon damit angefangen, vieles großzügig auszumisten. Auch ich hatte lange Zeit das Problem, dass ich dachte bestimmte Sachen immer noch gebrauchen zu können. Doch am Ende sind das alles nur Gebrauchsgegenstände, die einen Nutzen haben. Und wozu braucht man einen Taschenrechner, wenn man auch alles auf dem Smartphone rechnen kann? Und wozu braucht man tausende an Büchern, wenn man diese auch digital lesen kann? Dies sind nur einige Beispiele von verzichtbaren Gegenständen in der Wohnung. Sich zu fragen, was man wirklich braucht und dann beim Kauf auf besonders schöne, qualitativ hochwertigere Dinge zu konzentrieren, hilft enorm das Wohlbefinden zu steigern.
Stress kann uns viele Jahre unseres Lebens kosten und ich finde, dass es im Leben darauf ankommt schöne Erinnerungen zu schaffen. Und diese Erinnerungen müssen nicht in Form von Gegenständen festgehalten werden. Es reicht auch ein Bild, das man sich irgendwann mal wieder anschauen kann, um sich mit einem Lächeln an diese Zeit erinnern zu können.
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